Prof. Dr. Wolfgang Krüger,
Fachhochschule des Mittelstands (FHM) GmbH –
University of Applied Sciences, Bielefeld / Hannover
Jede evolutionäre Veränderung von Industrie, Produktion und Technik hat in der Vergangenheit auch eine „Neuvermessung“ bisher gültiger Standards, Normen und Regeln des Personalmanagements nach sich gezogen. Umso mehr gilt das für die disruptiven Veränderungen im Kontext von Industrie 4.0. Diese „Neuvermessung“ schließt Rechtsfragen, die Gestaltung der Arbeitsorganisation und die Mitarbeiterführung, die Personalgewinnung und veränderte Qualifikations- und Kompetenzanforderungen ein.
- Rechtliche Aspekte
Industrie 4.0 findet im Bereich von Personal und Arbeit gegenwärtig verschiedenartige limitierende Faktoren – ebenso entwickeln sich neue Formen der Arbeit, Mitarbeit und Zusammenarbeit:
- Arbeitsschutzgesetze
Stellen sich neue mentale und physische Anforderungen an die Mitarbeiter?
- Arbeitskraftüberlassungsverträge
Was folgt aus einer „grenzüberschreitenden“ Wertschöpfungskette?
- Freelancer
Von der Ausnahme zur Regel?
- Schutz des geistigen Eigentums und Datenschutz
Wem gehört was und wer muss vor wem geschützt werden?
- Betriebsverfassungsgesetz/Mitbestimmung
Betriebliche Zuständigkeit und überbetriebliche Prozesse.
- Compliance-Management
Denken in Netzwerken.
- Arbeitsorganisation und Mitarbeiterführung
Unternehmen und ihre Personalleitungen müssen also umdenken und dürfen sich nicht mehr allein in klassischen Denkmustern bewegen:
- Welche Rolle spielen die Mitarbeiter in cyber-physischen Systemen?
- Welche Rolle spielen Führungskräfte in cyber-physischen Systemen?
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als „Opfer“ oder „Gestalter“ der digitalen Transformation?
- Neue und erhöhte Anforderungen an individuelle Flexibilität.
- Zunahme virtueller Teams – Folgen für die Zusammenarbeit mit der Stammbelegschaft.
- Wie verändern sich die Kommunikationsstrukturen und die Unternehmenskultur?
- Personalmarketing und Employer Branding
Auch an die Gewinnung von Mitarbeitern neuen Typs stellen sich neue Anforderungen:
- Verschärft sich der Fachkräftemangel im Zeichen von Industrie 4.0?
- Droht dem Mittelstand ein „digitaler Darwinismus“ auch aufgrund fehlender Personal-Ressourcen?
- Wie „ticken“ „vagabundierende“ „digitale Arbeitskraft-Unternehmer“ und wie sind sie organisiert?
- Wie lässt sich die „Marke digitaler Mittelstand“ auf den Personalbeschaffungsmärkten platzieren?
- Qualifikations- und Kompetenzanforderungen
Der disruptive Wandel von Industrie 4.0, der auf die Arbeitswelt und die Qualifikations- und Kompetenzanforderungen durchschlägt, besteht darin, dass die Trennung von (mechanischer) Produktion, Informationstechnologie und Softwareentwicklung weitgehend aufgehoben wird. Welche Kompetenz- und Qualifikationsanforderungen stellen sich den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, wenn
- intelligente Maschinen mit Werkstücken, IT-Systemen und Menschen Informationen austauschen (Social Maschines),
- Maschinen eines Unternehmens auch mit Systemen von Zulieferern und Kunden kommunizieren (Global Facility),
- Produkte mithilfe eines Chips Daten über ihren Betriebs- und Produktzustand mit sich führen (Smart Products),
- neben der realen Produktionsstätte ein digitaler Zwilling sämtliche Produktionsprozesse virtuell simuliert (Virtual Production),
- intelligente Produkte Daten erzeugen, auf deren Basis dem Kunden neue, individuelle Dienstleistungen angeboten werden (Smart Services),
- Big-Data basierte Soziale Netzwerke die Plattform eines neuen Kundenbeziehungsmanagements bilden – vom Informationsaustausch bis zur Produktentwicklung (Smart CRM)?
Den Versuch einer Antwort auf diese Frage stellt das folgende Modell praktischer Verwendungssituationen und digitaler Kompetenzen dar.
Abbildung 1:
Modell digitaler Kompetenzen[1]
- Anwendung
Auf der Anwendungsebene von IT-Systemen, aber auch bei höher integrierten digitalen Anwendungen (4.0), sind sowohl eine fachliche und methodische Grundkompetenz, die die praktische Nutzung von Hard- und Software-Applikationen ermöglicht, als auch eine Interaktionskompetenz in digitalen Fragen erforderlich.
- Anwendung & Problemlösung
In dieser Verwendungssituation sind sowohl fachliche und methodische Grundkenntnisse und digitale Intrapreneurship-Kompetenzen als auch eine breite Interaktionskompetenz erforderlich. Sie helfen, Störungen zu beseitigen und neue Anforderungen an die digitale Systementwicklung zu stellen.
- Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle
In der Industrie 4.0-Welt sind digitale Intrapreneure gefragt, die neue digitale Geschäftsmodelle konzipieren und horizontale und vertikale Wertschöpfungsprozesse steuern und in Netzwerken kommunizieren können.
- Aktions- und Handlungskompetenz 4.0
Insbesondere im Mittelstand ist vor dem Hintergrund der Herausforderungen von Industrie 4.0 eine neue unternehmerische Qualität erforderlich, vorhandene Geschäftsmodelle digital zu transformieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Hinzu kommt eine neue Funktion der Interaktion von Mitarbeitern in cyber-physischen Systemen mit einem erweiterten Datenzugang. Daraus leiten wir drei Kompetenzprofile ab:
- Auf der Ebene der Unternehmensführung sind „Digitale Entrepreneure“ gefragt, die digitale Geschäftsmodelle anstoßen.
- Auf der Planungs- und Steuerungsebene sind „Digitale Intrapreneure“ gefragt, die die komplexen Geschäftsmodelle planen und steuern.
- Auf der ausführenden Ebene ist der „Augmented Operator“ gefragt, der mit einem erweiterten Datenzugriff (augmented) die Prozesse überwacht.
Abbildung 2:
Unternehmerische Aktions- und Handlungskompetenzen 4.0[2]
Literatur
Agiplan, Frauenhofer IML, Zenit (2015): Erschließen der Potenziale der Anwendung von „Industrie 4.0“ im Mittelstand. Erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI).
BDI (2015): Chancen nutzen. Vertrauen stärken. Gemeinsam handeln. Digitale Agenda der Deutschen Industrie, Berlin
Krüger, W. (2015): Unternehmensführung – Grundlagen des Managements, Stuttgart.
[1] Quelle: Krüger, W. 2015
[2] Quelle: Krüger, W. 2015