In Recht

Dipl.-Ing. Joachim Gerstein, Patentanwalt,
Dipl.-Inf. Sebastian Aisch, Patentanwalt,
Gramm Lins & Partner, Patentanwälte, Hannover

 

Die Vorteile eines zeitlich begrenzten, ausschließlichen Schutzes als Teil der staatlichen Gewalt zur Förderung von Innovationen und Sicherstellung von fairen Marktbedingungen wurden bereits im 19. Jahrhundert, also zur Zeit der Industrialisierung (Industrie 1.0) erkannt und durch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen in den Industrienationen etabliert. Die fundamentalen Rechtsprinzipien gelten bis heute fort und wurden zwischenzeitlich von fast allen Nationen übernommen.

Für Industrie 4.0 ist ein guter und verlässlicher Innovationsschutz essentiell, da mit den omnipräsenten Kommunikationswegen und –mitteln und einem globalisierten Welthandel die Gefahr der Nachahmung und Produktpiraterie weiter stark steigen wird. Mit der Zunahme der vertikalen Vernetzung von Industriebetrieben rückt neben dem Produktschutz selber auch der Schutz der Fertigungstechnologien in den Fokus. Der Patent-, Marken- und Designschutz sowie das Urheberrecht spielen hierbei eine entscheidende Rolle.

Für Industrie 4.0 ist es entscheidend, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen und Rechtsprinzipien für die modernen Technologien und wirtschaftlichen Paradigmen geeignet sind. Es lassen sich rechtliche Schwachstellen herauskristallisieren:

  • Das Territorialitätsprinzip (Nationalismus der Schutzrechte)
  • Softwarepatente
  • Daten als Erzeugnisse
  • Standardessentielle Patente

 

  1. Das Territorialitätsprinzip

Ein fundamentales Rechtsprinzip aller nationalen Schutzrechte ist das sogenannte Territorialitätsprinzip. In der modernen Welt der Globalisierung und der räumlich nahezu unbegrenzten Datenströme scheint dieses Grundprinzip langsam aus der Zeit zu fallen und zu einem Anachronismus zu werden. Mehr noch, wird der Grundgedanke der Industrie 4.0 konsequent zu Ende gedacht, so dürfte das (veraltete) Territorialitätsprinzip den angestrebten Zielen von Schutzrechten, nämlich die Förderung von Innovationen und die Schaffung fairer Marktbedingungen, hindernd entgegenstehen.

Das Territorialitätsprinzip der Schutzrechte (Patent, Marke, Design) hat dabei zwei wesentliche Aspekte:

  • ein Schutzrecht muss in dem Land angemeldet werden, in dem es später auch seine Schutzwirkung entfalten soll, und
  • die Schutzwirkung ist auf das Land oder die Region beschränkt, in dem es gemäß den dortigen nationalen Bestimmungen erteilt worden ist.

Ist ein Schutz, bspw. ein Patentschutz, in nahezu allen Ländern dieser Welt gewünscht oder gar notwendig, so muss in jedem Land ein entsprechendes Schutzrecht angemeldet und zur Erteilung/Eintragung gebracht werden. Zwar wurde in der Vergangenheit dieses Territorialitätsprinzip an einigen Stellen aufgeweicht, indem durch Zusammenarbeit mehrerer Nationen in bestimmten Teilen dieser Welt ein gemeinsamer regionaler Rechtsraum aufgebaut wurde. Allerdings verbleibt das letzte Wort in der Regel bei den nationalen Patent- und Markenämtern, sodass die staatliche Souveränität hiervon unberührt bleibt.

Eine Ausnahme bildet die Europäische Marke sowie das in naher Zukunft verfügbare europäische Einheitspatent, mit dem die Möglichkeit eröffnet wird, mit einer einzigen Patent- oder Markenanmeldung einen Schutz für nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten zu erhalten.

Die Industrie 4.0 lebt von einem länderübergreifenden Waren- und Datenaustausch. Nationale Kleinstaaterei passt nicht in dieses Konzept; will man nicht die Errungenschaften der Industrie 4.0 dem veralteten Nationalismus der Schutzrechte opfern.

Hier kann nur die Weltgemeinschaft in Gänze eine Lösung finden, um in Zukunft Innovationen umfassend schützen zu können. Die hierfür notwendigen Anstrengungen sind jedoch immens und es bleibt fraglich, ob die einzelnen Nationen bereit sind, staatliche Souveränität abzugeben, um im Gegenzug dazu Innovationen und faire Marktbedingungen im globalen Kontext zu fördern. Es bedarf dabei nicht nur einer Einigung hinsichtlich des Mindeststandards, so wie er heute schon durch die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) besteht. Vielmehr bedarf es eines umfassenden Standards, der nicht nur alle wesentlichen Aspekte eines Patenterteilungsverfahrens abdeckt, sondern auch den Schutzbereich und das Patentverletzungsverfahren harmonisiert.

 

  1. Das Patentrecht – „in a nutshell“

Ein Patent soll bei einer begrenzten Laufzeit (meist 20 Jahre) für technische Erfindungen seinem Inhaber einen ausschließlichen Schutz gewähren. Demnach ist es Dritten untersagt, die Erfindung in welcher Art auch immer kommerziell zu nutzen bzw. zu verwerten. Ein Patent verleiht seinem Inhaber somit ein alleiniges, ausschließliches Nutzungsrecht an der Erfindung.

Gemäß § 1 PatG (Deutsches Patentgesetz) und Art. 52 EPÜ (Europäisches Patentübereinkommen) müssen die folgenden Voraussetzungen kumulativ vorliegen, damit ein Patent erteilt wird und der Schutz entsteht:

  • Vorliegen einer technischen Erfindung,
  • die Erfindung ist neu,
  • die Erfindung beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit und
  • die Erfindung ist gewerblich anwendbar.

In den meisten Patentgesetzen bedeutet die Neuheit, dass die Erfindung nicht aus dem Stand der Technik bekannt sein darf, wobei als Stand der Technik all jenes anzusehen ist, was zu einem bestimmten Stichtag (meist der Anmeldetag des Patentes) der Öffentlichkeit – egal wo auf der Welt – zugänglich gemacht worden ist. Zudem wird mit dem Kriterium der erfinderische Tätigkeit gefordert, dass die Erfindung sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben darf, wobei eine rein objektive Beurteilungsweise anhand rechtlicher Prüfkonzepte zugrunde zu legen ist.

Derzeit weist das Patentrecht in Deutschland und Europa allerdings eine noch unbefriedigende Anpassung an die Entwicklung im Bereich der Industrie 4.0 auf. Die folgenden Schwerpunkte müssen dabei besonders Berücksichtigung finden:

  • Software als wesentlicher Teil patentfähiger Lösungen
  • Digitale Daten als Erzeugnisse im patentrechtlichen Sinne

Dem Patentschutz sind dabei grundsätzlich nur rein technische Erfindungen zugänglich. Erfindungen außerhalb der Technik können hingegen einen Patentschutz nicht begründen. Da der Begriff „Technik“ einem zeitlichen Wandel unterliegt, findet sich in den meisten nationalen Gesetzgebungen keine Definition hierzu. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Begriff in nahezu allen Ländern in mehr oder weniger starken Nuancen unterschiedlich ausgelegt wird.

Mit einem nationalen/regionalen Patentschutz lässt sich Schutz erreichen für die Herstellung, das Anbieten, in Verkehr bringen oder Gebrauchen von Erzeugnissen, das Ausführen von Verfahren oder das Anbieten zur Ausführung. Selbiges gilt für die unmittelbaren Verfahrenserzeugnisse.

Wenn nun das Herstellen eines Erzeugnisses, wovon auch digitale Daten mit umfasst werden können, länderübergreifend erfolgt, dann hängt es von der nationalen Rechtsordnung ab, ob eine Patentverletzung vorliegt oder nicht. Dies kann zu höchst unterschiedlichen Beurteilungen führen, was zu einer hohen Verunsicherung der Beteiligten führen kann.

 

  1. Software als patentgeschützter Gegenstand

Als grundsätzlich dem Patentrecht zugänglich werden nur Innovationen angesehen, die auf einem technischen Gebiet liegen. Der Gesetzgeber spricht dabei Computerprogrammen als solchen explizit die Eignung als technische Erfindung ab (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 PatG; Art. 52 Abs. 2, i.V.m. Abs. 3 EPÜ). Gleichwohl ist Software, genauer gesagt Computerprogramme, unter gewissen Umständen patentfähig, so dass diese vom Gesetzgeber gewählte Definition irreführend ist. Es wird angenommen, dass hierdurch viele computerimplementierten Innovationen ungeschützt geblieben sind, wodurch ein nicht unerheblicher immaterieller Schaden in der Deutschen Wirtschaft entstanden ist.

Die Rechtsprechung hat einen Prüfkatalog entwickelt, um festzustellen, wann eine Softwarelösung dem Patentrecht zugänglich ist oder nicht. Demnach muss vorliegen:

  • Die Lösung einer technischen Aufgabe
  • mittels konkreter technischer Mittel
  • zur Erzielung eines technischen Effektes.

Der Einsatz einer Datenverarbeitungsanlage ist dabei als ein technisches Mittel anzusehen, wobei dann ein weitergehender technischer Effekt durch das Computerprogramm, das auf der Datenverarbeitungsanlage abläuft, erzeugt werden muss. Dieser technische Effekt kann zum einen die Datenverarbeitungsanlage selber betreffen, d.h. sie wird von dem technischen Effekt vorteilhaft weitergebildet. Der technische Effekt kann aber auch außerhalb der Datenverarbeitungsanlage entstehen, bspw. auf einem anderen technischen Gebiet.

Bei der mit Industrie 4.0 einhergehenden stärkeren Verzahnung von Software und deren Ausführung durch unterschiedliche Beteiligte sowie verschiedensten Schnittstellen kommt die Möglichkeit von Patentschutz für solche softwaregestützten Prozesse zum Tragen, die auf eine neue und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhenden Weise einen technischen Effekt bewirken.

Folgende technische Anwendungen im Bereich der Computerprogramme werden dabei als unstrittig patentfähig angesehen, die auch für Industrie 4.0 eine zentrale Rolle spielen:

  • Programme für das Messen, Steuern, Regeln
  • Automatisierungssysteme in der Industrie
  • Assistenzsysteme in Fahrzeugen
  • Verschlüsselungs- und Codierverfahren (bspw. MPEG)
  • Telekommunikationsanwendungen
  • Signalübertragungsverfahren

Lösungen, die sich bspw. auf Optimierungsverfahren oder auf Simulationsverfahren stützen, werden indes sowohl in Deutschland als auch im Vergleich zu anderen Ländern höchst unterschiedlich beurteilt. Dies kann jedoch zu einen Wettbewerbsnachteil führen, insbesondere wenn bei Erfindungen auf diesen Gebieten aufgrund der Rechtsunsicherheiten von einer Patentanmeldung abgesehen wird.

Ein Problem stellt sich dann, wenn die Zugänglichkeit von computerimplementierten Erfindungen territorial unterschiedlich gehandhabt wird. Dies gilt insbesondere für die USA, wo auf Computernetzwerken basierende, rein wirtschaftliche Geschäftsmodelle bislang zu Patenten führen konnten, während dies in Europa erfolglos blieb.

 

  1. Daten als Erzeugnisse

Wegen des fundamentalen Territorialitätsprinzips entsteht eine Patentverletzung nur in dem Land, in dem entsprechender Patentschutz besteht. Wird die Erfindung hingegen im patentfreien Ausland genutzt, so liegt zunächst keine Patentverletzung vor.

Werden nun Computerprogramme auf Servern außerhalb des patentfreien Inlandes ausgeführt, so besteht die Gefahr einer versehentlichen Patentverletzung im Ausland, wenn das im Ausland geschützte Verfahren oder wesentliche Verfahrensschritte tatsächlich auch unwissentlich in dem entsprechenden Land ausgeführt werden. Für einen Verwender, der die Ergebnisse im patentfreien Inland auswertet und weiterverarbeitet, ist dies nicht zwingend offensichtlich. Das Stichwort „Cloud Computing“ hat hierbei eine zentrale Bedeutung.

Grundsätzlich wird bei einem patentgeschützten Verfahren auch das unmittelbar aus dem Verfahren resultierende Erzeugnis mitgeschützt (vgl. § 9 PatG). Dies wird wohl in Zukunft auch auf die aus einem Computerprogramm resultierenden Daten und Datenströme zutreffen. So hat der BGH in seiner Entscheidung zum MPEG-Standard (BGH X ZR 33/10 – MPEG-2-Videosignalcodierung) angedeutet, dass wohl nicht nur Datenströme, die sich auf Videocodierverfahren stützen, mit geschützt sind, sondern dass dies wohl auf nahezu alle digitalen Verfahren zutreffen wird.

An sich territorial wirkende Patente für Erzeugnisse und Verfahren können somit internationale Datenströme erfassen, bspw. zwischen Zulieferer und Hersteller und Vertrieb, die in jeweils verschiedenen Staaten ihren Sitz haben. Ein großes Problem besteht für die Marktteilnehmer darin, die Existenz und Relevanz solcher Schutzrechte zu erkennen. Eine Rechtssicherheit durch eine Recherche von Patenten ist durch die Unmenge existierender Schutzrechte, Sprachvielfalt, fehlende Verfügbarkeit von effizienten Zugriffsmöglichkeiten auf die aktuellen Rechtsstände von Patenten und aufwendige Erfassbarkeit des Schutzbereiches kaum zu erzielen.

Damit kann der Import von Daten aus dem patentfreien Ausland ins patentgeschützte Inland problematisch werden, wenn die Erzeugung der Daten auf einem im Inland geschützten Verfahren beruht.

 

  1. Patente für technische Standards

Industrie 4.0 als „Internet der Dinge“ setzt bei der digitalen Kommunikation vorwiegend auf dem Ethernet-Protokoll auf. Dieses ist ein Industriestandard nach IEE 802.xx. Über diesen globalen Datentransport hinaus ist aber auch eine Interoperabilität der

  • Kommunikation auf Feldebene
  • Identifikation der Feldteilnehmer (Sensoren, Aktoren, Maschinen, Bediengeräte etc.)
  • Verschlüsselungstechnik
  • Datenkompressionsverfahren
  • Datenstrukturen (Befehlsstruktur, Informationsstruktur)

erforderlich. Hierzu müssen von den Beteiligten einheitliche Standards genutzt werden. Die zugehörige Technologie der Marktteilnehmer kann in durch Normungsgremien ausgehandelten Standards oder in proprietären Standards einzelner Marktteilnehmer oder Gruppen von Marktteilnehmern festgelegt sein. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die zugehörigen Schutzrechte lizensiert werden, hängt nun entscheidend von den individuellen Vereinbarungen der Normungsgremien oder Marktteilnehmer ab.

Die Kommunikation auf der Feldebene wird bislang wesentlich geprägt  durch

  • proprietäre Standards von Marktführern (z.B. ProfiNET [Fa. Siemens und General Electric], EtherCAT [Fa. Beckhoff], EtherNet/IP [Fa. Rockwell], POWERLINK [Fa. B&R], Sercos, CC-Link IE [Fa. Mitsubishi], Modbus/TCP [Fa. Schneider Electric])
  • nicht-proprietäre Industriestandards (z.B. USB, ZigBee, Bluetooth, WiMAX)

Die Identifikation von Feldteilnehmern ist für jedes Kommunikationsprotokoll in der Regel im zugehörigen Kommunikationsstandard definiert. Globale Identifikationsmodelle basieren auf herstellerspezifischen Methoden und werden durch herstellerübergreifende Aktivitäten standardisiert (z.B. FDT Group, HART Communication Foundation, OPC Foundation, PROFIBUS & PROFINET International and Fieldbus Foundation). Dabei wird in der Automatisierungstechnik oftmals die Electronic Device Description Language (EDDL) genutzt, die in der IEC 61804 genormt ist.

Die Verschlüsselungstechnik umfasst kryptografische Verfahren und Authentifzierungsverfahren. Dabei werden im großen Maße Industriestandards wie z.B. AES256, S/MIME, CIFS FileSystem und SHA512 ID eingesetzt.

Datenkompressionsverfahren sind für die Video- und Tonübertragung z.B. mit MPEG, MP3, HDMI standardisiert. Die zugehörigen Patente sind über Patentpools (MPEG LA, SISVEL, Technocolor) verfügbar. Zudem wird eine Datenkompression im Zusammenhang mit der Verschlüsselungstechnik genutzt.

Datenstrukturen sind für Befehlssprachen z.B. zur Ansteuerung von 3D-Druckern oder den Informationsaufbau z.B. zur Gerätebeschreibung (Device Description (DD), Device Type Manager (DTM), Electronic Device Description Language (EDDL)) relevant. Sie folgen proprietären Standards, Industrienormen oder Open Source Definitionen.

Die zur Nutzung der proprietären Standards oder Industriestandards sowie der Open Source Technologien erforderlichen Patente sind nicht einfach zu recherchieren. Es fehlt auch eine zentrale Anlaufstelle, bei der sich die Marktteilnehmer auf effiziente Weise Lizenzen beschaffen können. Die Lizenzbedingungen sind intransparent.

Prinzipiell ist die Geltendmachung von Monopolrechten (Patenten) kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht oder Kartellrecht. Sie stößt ausnahmsweise bei technischen Standards an ihre kartellrechtliche Grenze, wenn die patentierte Technologie zwingend im Standard vorgegeben ist. Dies gilt nicht nur für Industriestandards, sondern auch für proprietäre Standards und de-facto Standards. Die Patentinhaber sind dann verpflichtet, die Technologie zu FRAND-Bedingungen (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory) zu lizensieren. Ein Unterlassungsanspruch kann ohne ein vorhergehendes Angebot eines akzeptablen Lizenzvertrages nicht geltend gemacht werden. Bei Schadensersatz- und Rechnungslegungsansprüchen hat zumindest der EuGH (EuGH Urteil vom 16.07.2015 – C-170/13, ECLI:EU:C:2015:477 – Huawei / ZTE) weniger Bedenken gegen eine unmittelbare Geltendmachung ohne vorheriges Lizenzangebot.

Mit der europäischen Normungsverordnung VO (EU) Nr. 1025/2012 vom 25.10.2012 hat es der Gesetzgeber versäumt, bindende gesetzliche Vorgaben zur Nutzung von standardessentiellen Patenten zu machen. Lediglich in Anhang II, Ziff. 4 c) der Verordnung findet sich die bereits zur Lösung des Konfliktes zwischen dem Patentrecht und Kartellrecht durch Rechtsprechung definierte Anforderung an technische Spezifikationen:

„Lizenzen für jene Rechte des geistigen Eigentums, die für die Verwendung von Spezifikationen von wesentlicher Bedeutung sind, werden an Interessenten nach dem FRAND-Grundsatz (Lizenzvergabe zu fairen, vernünftigen und nicht diskriminierenden Bedingungen) vergeben; im Ermessen des Rechteinhabers schließt dies eine Lizenzvergabe ohne Gegenleistung für wesentliche Rechte des geistigen Eigentums ein.“

Die Realisierung von Industrie 4.0 erfordert somit von den Marktteilnehmern:

  • Identifizierung relevanter standardessentieller Patente
  • Beschaffung von Lizenzen, weltweit
  • Einkalkulieren von Lizenzgebühren

Es besteht nun die Gefahr, dass die Summe der notwendigen Lizenzen eine wirtschaftliche Umsetzung eines Internet 4.0 Geschäftsmodells gefährdet.

Erfahrungen aus der Telekommunikationsbranche mit Patentstreitigkeiten zu GSM, LTE, ADSL, TETRA etc. haben gezeigt, dass ein großes Konfliktpotential besteht. Besonders gefährlich ist es, wenn Finanzinvestoren standardessentielle Patente z.B. von Forschungseinrichtungen erwerben und diese durch Patentverletzungsklagen versuchen, wirtschaftlich zu verwerten.

Im Zeitraum von 2013 bis 2015 hat China mit 2.541 Patentanmeldungen zu Industrie 4.0 die USA mit 1.065 Patentanmeldungen und Deutschland mit 441 Patentanmeldungen weit überholt (Quelle: Fraunhofer IAO, Stuttgart, Analyse der Entwicklung von Industrie 4.0 in China, White Paper 2015). Es ist zu erwarten, dass China in diesem Bereich auf Basis eigener Patente technische Standards definieren wird, die auch für ausländische Marktteilnehmer relevant werden.

Ein weiteres Problem ist, dass die notwendigen Lizenzen in der Regel nur an das letzte Glied der Wertschöpfungskette erteilt werden. Dies hat zur Folge, dass Hersteller von Bauteilen (z.B. Chiphersteller) oder von Geräten (z.B. Modemhersteller) den Endkunden dann keine Lizenzfreiheit garantieren können, auch wenn die notwendige Technologie in den gelieferten Bauteilen / Geräten vollständig implementiert ist. Die Patentinhaber haben zumeist durch eine geeignete Formulierung der Patentansprüche, die nicht auf die Bauteile / Geräte beschränkt sind, sondern erst vom Endkunden realisierte oder genutzte Systeme oder Verfahren unter Schutz stellen, dafür gesorgt, dass die Patentrechte nicht bereits durch das in Verkehr bringen der Bauteile oder Geräte erschöpft sind. Dies führt zu wesentlich höheren Lizenzgebühren auf der Grundlage des höchstwertigen Preises in der Wertschöpfungskette.

Marktführende Innovatoren versuchen frühzeitig mit eigenen Technologien und zugehörigen Patenten zur Standardisierung beizutragen, um sich dadurch einen großen Marktanteil bei durch Lizenzeinnahmen verringerten Kosten zu sichern.

Die Problematik standardessentieller Patente führt für Industrie 4.0 zu dem folgenden denkbaren Maßnahmenkatalog:

  • Alle zur Realisierung von Industrie 4.0 erforderlichen Patente weltweit sollten identifiziert werden, um sie nach Themengruppen geordnet in einer Datenbank einfach recherchieren zu können (Transparenz).
  • Die notwendigen Lizenzen sollten an einer zentralen Stelle für alle notwendigen Patente insgesamt mit einer einzigen fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Lizenzgebühr verfügbar sein (FRAND-Lizenz).
  • Es sollte gesetzlich z.B. im TRIPS-Abkommen festgelegt werden, dass jegliche Patente, die in einem proprietären, nicht-proprietären, offenen oder de-facto Standard genutzt werden müssen, unabhängig von der Beteiligung des Patentinhabers an der Standardisierung zwingend bei einer zentralen Stelle zur dortigen Pool-Lizensierung einzubringen sind (Regelungen zu Zwangslizenzen sind in vielen Patentgesetzen enthalten).
  • Zumindest sollten die durch die Normungsgremien individuell geregelten FRAND-Lizenzverpflichtungen ihrer an der Standardisierung beteiligten Mitglieder durch eine weltweit gültige gesetzliche Regelung zur Sicherung eines Mindeststandards flankiert werden.

Die Marktteilnehmer, insbesondere der Mittelstand, sollte in jedem Fall versuchen, ein eigenes Patentportfolio aufzubauen, um im Konfliktfall für einen Gegenangriff gewappnet und in der Lage zu sein, Lizenzkosten durch Cross-Lizensierung oder Beteiligung an Patent-Pools zu reduzieren.

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