Prof. Dr. Niels-Olaf Angermüller,
Hochschule Harz, Wernigerode
Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und ihre Anwendung in der Produktionsumgebung von Industrieunternehmen führen dazu, dass die Bedeutung von Gebäuden und Maschinen zugunsten von Programmen abnimmt und individualisierte Lösungen im Vergleich zur Massenproduktion an Bedeutung gewinnen. Der durch Vernetzung und Digitalisierung geprägte Zustand der industriellen Welt wird auch als „Industrie 4.0“ bezeichnet. Der Begriff „Industrie 4.0“ leitet sich aus den bisherigen industriellen Revolutionen ab. Ausgelöst wurden sie durch den Einsatz von Wasser- bzw. Dampfmaschinen (1), der arbeitsteiligen Massenproduktion mittels elektrischer Energie (2) und der Automatisierung der Produktion unter Nutzung von Elektronik und Informationstechnologie (3). Die vierte industrielle Revolution, Industrie 4.0, beruht dabei auf den sogenannten cyber-physischen Systemen als Kerntechnologie.
Die „Industrie 4.0“ ermöglicht die Entwicklung neuer vernetzter Geschäftsmodelle oder die Verbesserung bestehender durch digitale Optimierung. Sie ist gekennzeichnet durch eine Individualisierung der Produkte im Umfeld einer hoch flexibilisierten (Großserien-) Produktion. Kunden und Geschäftspartner sind direkt in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden. Die Produktion wird mit hochwertigen Dienstleitungen verbunden. Mit intelligenteren Monitoring- und Entscheidungsprozessen sollen Unternehmen und ganze Wertschöpfungsnetzwerke in nahezu Echtzeit gesteuert und optimiert werden können.
Die deutsche Industrie will bis 2020 jährlich ca. 40 Milliarden Euro in „Industrie 4.0“- Anwendungen investieren.[1] Bis dahin werden vermutlich über 80 Prozent der Industrieunternehmen ihre Wertschöpfungskette digitalisiert haben.[2] Die Digitalen Lösungen versprechen dabei Effizienzsteigerungen von knapp 20 Prozent und Umsatzsteigerungen von über 30 Mrd. €.[3]
- Industrie 4.0 und Risikomanagement
Die „Industrie 4.0“ wird auch hinsichtlich des Risikomanagements zu Veränderungen führen. Der zunehmende Grad der Vernetzung führt zu Abhängigkeiten, steigert damit die Möglichkeit von Risikoansteckungen und erfordert somit eine ganzheitliche Betrachtung.
Beispielhaft sind im Folgenden einige mögliche neue (finanzielle) Risiken der „Industrie 4.0“ aufgelistet. Diese gliedern sich in kurz- bis mittelfristige operationelle und finanzielle Risiken und (langfristige) strategische Risiken.
- Operationelle Risiken:
- Sicherheitslücken, insbesondere im Bereich der IT, z.B.
- Industriespionage
- Datenschutz
- Kommunikationsfehler
- technisch bedingt
- sprachlich bedingt
- Abhängigkeiten von bestimmten Technologieanbietern
- Verstärkte Abhängigkeiten im Rahmen von Lieferketten
- Unterschiedliche Rechtssysteme führen zu erhöhten rechtlichen Risiken
- Steigende Qualifikationsanforderungen können vorhandenes Personal überfordern und dessen Akzeptanz von Neuerungen negativ beeinflussen
- Interventionen von Arbeitnehmervertretungen
- Finanzielle Risiken
- Für die Realisation von Industrie 4.0 kann zunehmender Kapitalbedarf entstehen, welcher ggf. durch Fremdkapital finanziert werden muss. Hierdurch vergrößert sich der Verschuldungsgrad, und die Eigenkapitalquote sinkt. Im Ergebnis kann dies Ratings negativ beeinflussen und die Kapitalkosten steigern.
- Durch Zusatzinvestitionen entstehen zusätzliche Fixkostenblöcke, was die Krisenanfälligkeit vergrößert.
- Spezifischere technische Ausstattung mit weniger alternativen Einsatzmöglichkeiten wird durch Banken tendenziell schlechtere Bewertungen als Sicherheit erhalten, was den Kreditspielraum einschränken kann.
- Komplexere Produktionsabläufe und -vernetzungen müssen bei der Kapitalbeschaffung ausführlicher und professionell dargestellt werden, damit diese unmittelbar verständlich werden. Damit kann erreicht werden, dass sich die erhöhte Komplexität nicht als zusätzliches Risiko darstellt, welches negativ auf die Kapitalbeschaffung wirkt.
- Strategische Risiken
- Verstärkter (internationaler) Wettbewerb und Preisdruck
- Veränderungen im Kundenverhalten (Individualisierte Lösungen werden zum Normalfall und erwartet).
- Erhöhte Anforderungen an die Flexibilität
- Höhere Qualifikationsanforderungen bei in Deutschland und anderen Industrieländern zurückgehendem Arbeitskräfteangebot. Dadurch ggf. langfristige Nachteile für den Industriestandort Deutschland
Um mit diesen Risiken, deren Nichtbeachtung durchaus mittel- bis langfristig zur Existenzbedrohung werden kann richtig umzugehen, gewinnt künftig das Risikomanagement weiter an Bedeutung. Auch ist sicherzustellen, dass Chancen adäquat genutzt werden können.
- Risk Intelligence
Das Konzept der so genannten Risk Intelligence setzt an der Risikokompetenz von Unternehmen an. Diese ist zentral, um mit den komplexer werdenden Risiken der Industrie 4.0 angemessen umgehen zu können. Wichtig ist neben der Transparenz der Risiken, wie diese bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Relevante Fragestellungen sind zum Beispiel[4]:
- Erfolgt eine regelmäßige systematische Identifikation von Chancen und Risiken?
- Gibt es belastbare Wahrscheinlichkeitsannahmen?
- Gibt es belastbare zeitliche Vorstellungen zum Risikoeintritt?
- Werden angemessene Risikosteuerungsmaßnahmen eingesetzt und deren Wirksamkeit kontrolliert?
- Werden Risiken fortlaufend überwacht (Monitoring)?
- Fließen die Auswirkungen festgestellter Planabweichungen wieder in die Risikoanalyse ein?
Als wesentlich erscheint in einem zunehmend komplexen Umfeld auch, dass vor allem die finanziell besonders relevanten strategischen Risiken stärker als bisher bei Unternehmensentscheidungen einbezogen werden[5].
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Literatur
http://www.pwc.de/de/digitale-transformation/pwc-studie-industrie-4-0-steht-vor-dem-durchbruch.jhtml
- Gleißner, S. Chrobok (2012): Risk Intelligence – Indikator für die Zukunftsorientierung des Controllings.“ Controller Magazin, Ausgabe 5/2012, S. 70 – 71.
- Angermüller; W. Gleißner (2011): Verbindung von Controlling und Risikomanagement: Eine empirische Studie der Gegebenheiten bei H-DAX-Unternehmen“, Controlling – Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, Heft 6/2011, S. 310 – 318
[1] http://www.pwc.de/de/digitale-transformation/pwc-studie-industrie-4-0-steht-vor-dem-durchbruch.jhtml
[2] http://www.pwc.de/de/digitale-transformation/pwc-studie-industrie-4-0-steht-vor-dem-durchbruch.jhtml
[3] http://www.pwc.de/de/digitale-transformation/pwc-studie-industrie-4-0-steht-vor-dem-durchbruch.jhtml
[4] Vgl. hierzu W. Gleißner, S. Chrobok (2012): Risk Intelligence – Indikator für die Zukunftsorientierung des Controllings.“ Controller Magazin, Ausgabe 5/2012, S. 70 – 71.
[5] vgl. auch N. Angermüller; W. Gleißner (2011): Verbindung von Controlling und Risikomanagement: Eine empirische Studie der Gegebenheiten bei H-DAX-Unternehmen“, Controlling – Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, Heft 6/2011, S. 310 – 318.