In Produktion

Prof. Dr.-Ing. Lorenz Däubler, Hochschule Hannover

 

 

 

 

 

 

 

Fragen der Moderation:

Welche grundlegenden Änderungen bringt Industrie 4.0 für die Steuerungstechnik?

In der Automatisierungstechnik unterscheiden wir ja überlicherweise in klar getrennte Funktionsebenen, in denen die unterschiedlichen taktischen/strategischen/operativen Aufgaben bei der Produktion durchgeführt werden. Jede Funktionsebene ist eindeutig einem IT-System zugeordnet. Dieses Ebenenmodell nennt man auch Automatisierungspyramide.

Bei Industrie 4.0 wird diese herkömmliche Automatisierungspyramide fragmentiert und aufgeweicht, die Aufgaben werden neu partioniert/verteilt, die klassische Zuordnung von Funktionsebenen zu IT-Systemen fällt weg.

  • Steuerungen, die überlicherweise nur operative Funktionen wie das klassische Steuern, Regeln bzw. Diagnostizieren und Melden übernehmen, können selbststätig taktische Funktionen aus der übergeordneten Leittechnik übernehmen (z.B. kurzfristige Umplanung von Produktionswegen wg. Ausfall oder Bedarfsänderung)
  • Antriebe und Aktoren kennen ihren Wartungszustand und vergeben selbsttätig Wartungsaufträge

Das entspricht einem klaren Trend in Richtung Dezentralisierung.

Diese Verlagerung findet aber auch in genau die entgegengesetzte Richtung statt,  ein Trend zur Zentralisierung: Unternehmenssoftware, die normalerweise nur betriebswirtschafliche bzw. strategische Planungsaufgaben übernimmt, kann Leit- und in Zukunft vielleicht auch Steuerungstechnische Funktionen übernehmen wie Bedienen, Anzeigen, Steuern.

Die Unternehmern müssen nun für ihren Anwendungsfall entscheiden, ob sie den Weg der Zentralisierung oder Dezentralisierung einschlagen. Hier ist Beratung erforderlich.

Die Kernaufgaben der Automation bleiben aber weitgehend dieselben, da gibt es kein Vertun.

 

Wie sicher sind die Steuerungen und ihre Schnittstellen in Zukunft?

Hier muss zuerst der Begriff der Sicherheit etwas konkretisiert werden. Im Englischen können wir ja feinsinnig zwischen Safety (Vermeidung von Personen- und Sachschaden durch die Technik, Schutz des Menschen vor Technik) und Security (Schutz der Technik vor dem Menschen durch unerwünschten Eingriff, im I4.0 Umfeld ganz speziell Cyber-Security) unterscheiden. Ich beziehe mich hier erstmal auf die klassische Safety.

Steuerungen an sich bergen ja kein Risiko, die Gefährdung durch die Automatisierungstechnik hängt ja vom Prozess ab, der geregelt wird – und da weist die klassische Fertigungstechnik im Gegensatz zur Verfahrenstechnik oder Verkehrstechnik ein vergleichsweise geringes Gefährdungspotenzial auf. Mit neuen Fertigungstechnologien wie autonome Flurförderfahrzeuge, die u.U. die Spurbindung aufheben, oder der Mensch/Roboter-Interaktion (sogenannte Cobots) verschärft sich die Lage aber.

Was die Steuerung an sich angeht: den mir bekannten Herstellern von Automatisierungssystemen traue ich sehr wohl zu, auch weiterhin verlässliche Steuerungsplattformen anzubieten – die Abschicherungsprozesse und Sicherheitsanforderungen sind klar definiert und werden beherrscht. Da man mit I4.0 tauglichen Plattformen aber u.U. den Boden betriebsbewährter Technik verlässt, wird die neue Ausrüstung vergleichsweise teuer sein!

Die große Unbekannte ist hier tatsächlich die Cyber-Security. IT-Security-Vorfälle können insbesondere im hochvernetzten Produktionsumfeld mittelbar zum safety-Problem werden. Hier müssen wir bei der Gefährdungs- und Risikoanalyse neue Wege gehen und kombinierte safety/security-Szenarion unterschuchen und einschätzen lernen.

Wie kann man die wichtigsten Risiken in der Produktion vermeiden?

Ich denke, die eigentliche Herausforderung liegt hier in der Erkennung der Risiken (Gefahr erkennt, Gefahr gebannt!!!!). Auch kleine und mittelständische Unternehmen müssen sich in Zukunft mit dem Thema Gefährdungs- und Risikoanalyse beschäftigen. Vor dem Einsatz neuer Fertigungstechnologien muss klar sein, was im Alltag passieren kann. Ein Praxisbeispiel aus der Industrie unter Beteilung der HsH zeigt, dass dies gut klappen kann, wenn sich der Betreiber einer Anlage selbst über die Risiken im täglichen Einsatz bewusst ist und sein Wissen in die Projektierung der Automatisierungstechnik einfließen lässt.