In Produktion

Prof. Dr.-Ing. Lorenz Däubler,
Hochschule Hannover, Hannover

Die mit Industrie 4.0 einhergehende konsequente, tiefgreifende Anwendung und Nutzung von Informationstechnologien in der industriellen Wertschöpfung führt zu einer deutlichen technologischen Emanzipation von Produktionsmitteln und Produkten. Dies bedeutet im Einzelnen: sowohl die Produktionsmittel – also Anlagen und Maschinen für Produktion, Logistik etc. – als auch die Produkte selbst erhalten durch formalisiertes Wissen Kenntnis über ihre Identität und den Sinn und Zweck ihres Daseins. Über Sensoren erkennen sie ihre Umwelt, über breitbandige Schnittstellen können sie mit ihrer Außenwelt kommunizieren. Und nicht zuletzt die Fähigkeit zur Schlussfolgerung befähigt sie, aus ihrem deklarativen Wissensvorrat und dem aktuellen Zustand ihres Umfeldes autonome Entscheidungen zu treffen und situativ angepasste Handlungen einzuleiten und durchzuführen – sie sind damit zur Interoperabiltät fähig, also zur Interaktion mit anderen Produkten oder Produktionsmitteln bzw. mit Menschen, die ihnen in der Funktion als Endkunde oder Bedienpersonal in der Produktion entgegentreten[1].

Diese Fähigkeit zur Autonomie bzw. zur Interoperabiltät hat seine erste Ausprägung in der selbsttätigen Regelung und wurde als nicht aufzuhaltender technologischer Trend mit massiven sozialen Effekten bereits vom Begründer der Kybernetik Norbert Wiener in der 50er Jahren des letzten Jahrhunderts erkannt und vorhergesagt[2] [2]. Insofern handelt es sich bei der 4. industriellen Revolution um eine Evolution mit Ansage. Abseits der wenig fruchtbaren Diskussion, ob es sich bei Industrie 4.0 um eine Evolution oder eine Revolution handelt, bleibt die Tatsache, dass diese Entwicklung massive Auswirkungen auf unser menschliches Denken, Verstehen und Handeln in den Bereichen Planung und Management, technische Entwicklung und Forschung, Sicherheit, Marketing, Personalentwicklung, Risikomanagement etc. hat.

Die folgenden Ausführungen beleuchten die Herausforderungen für die technische Entwicklung und Forschung und fokussieren die wichtigsten Punkte bereits bestehender Forschungsempfehlungen[3].

 

  1. Herausforderung Interoperabiltät

 

Die für die Industrie 4.0 so kennzeichnende Fähigkeit zur Interoperabiltät ist gleichzeitig eine der größten technischen Herausforderungen, wobei hier drei Aspekte von Bedeutung sind:

 

1.1.        Kommunikation und Semantik

Die vielen unterschiedlichen Standards und Normen zur industriellen Kommunikation, derer sich die intelligenten Produkte und Produktionsmittel bedienen könnten, um physikalisch die Kommunikation zu etablieren, führen voraussichtlich zu Unverträglichkeiten[4].

Selbst wenn physikalische Übertragungstechniken genormt sind, muss verbindlich vereinbart und formalisiert werden, welche Inhalte semantisch übermittelt werden sollen und was diese Inhalte für jeden Teilnehmer bedeuten (Ist der Druckmesswert in hPa oder bar? Soll in der „drilling station“ gebohrt oder gefräst werden?)[5]. Hier werden allgemein akzeptierte und stabile Informationsmodelle benötigt, die aber flexibel und in unterschiedlichen Branchen anpassbar sein müssen.

 

1.2.        Vorhersagbarkeit und Fehlverhalten

Bei Produktionssystemen mit interoperablen Teilnehmern (Produktionsmittel, Produkte, Personal) handelt sich um ein hochkomplexes verteiltes System, dessen Verhalten bzw. potentielles Fehlverhalten sich mit den heutigen Methoden der Informatik schwer vorhersagen bzw. präzidieren lässt, obwohl die Theorie der Nebenläufigkeit bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Arbeiten von Carl Adam Petri aus der Taufe gehoben wurde und somit lange wissenschaftliche Tradition hat. Wie kann also die technische Entwicklung sicherstellen, dass die Produktion nicht aus dem Ruder läuft bzw. kann durch Anwendung klassischer Leitsysteme geschultes Bedienpersonal die fehlgeleitete Produktion stabilisiert werden. Der Theorie der Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit von binären Steuerungssystemen kommt hierdurch besondere Bedeutung zu[6].

In diesen Havarie-Szenarien ist noch nicht einmal die Verletzung der IT-Security durch Hacker und Saboteure berücksichtigt, siehe folgenden Abschnitt „Safety / Security“.

 

1.3.        Transparenz und Verlässlichkeit in der Autonomie

Gänzlich neu in der Technik ist die aus den Unternehmen bekannte Tatsache, dass Arbeitsgruppen besonders produktiv und effizient arbeiten, wenn jeder Mitarbeiter nicht nur weiß, was er zu tun bzw. zu liefern hat, sondern auch weiß, was der Kollege zu tun bzw. zu liefern hat. In Analogie dazu müssen intelligente Produkte und Produktionsmittel ein relativ genaues Bild davon haben, wie die Produktionsteilnehmer sich verhalten und in bestimmten Situationen agieren, um so ihr Verhalten entsprechend abzustimmen.

 

  1. Herausforderung Safety / Security

Laut dem VDE Trendreport ist der Themenkomplex „Sicherheit“ von besonderer technischer und juristischer Relevanz. Während wir im deutschen nur den Begriff der „Sicherheit“ kennen, unterscheidet man im englischen ja feinsinnig „safety“ und „security“:

  • safety im Sinne der Gefährdung von Personen und Sachen durch den Einsatz von technischen Produkten (Gefährdung anderer durch ein Produkt)
  • security IT-security im Sinne der Verletzung der Geheimhaltung und Integrität eines technischen Produktes (Gefährdung eines Produktes durch andere)

Eine besonders fatale Wechselwirkung beider Sicherheitsaspekte (safety, security) ergibt sich nun in der digitalisierten Wertschöpfung, wenn Produkte oder Techniken durch Fremdeinwirkung verändert, sabotiert, geschädigt und damit inkonsistent werden (Verletzung der security) und in Folge dessen dann Personen- oder Sachschaden verursachen (Verletzung der safety). Während sowohl safety- als auch security-Aspekte im Einzelnen ziemlich gut verstanden sind, ist die safety-security-Wechselwirkung technologisch noch ziemlich unerforscht.

 

Grafikmodell: Däubler

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Literatur

[1]          SMART FACE – Smart Micro Factory für Elektrofahrzeuge mit schlanker Produktionsplanung. Informationsblatt zur HMI, Hannover 2015.

[2]          Norbert Wiener. Mathematik – mein Leben. Econ Verlag, 1962.

[3]          Forschungsunion, acatech. Umsetzungsempfehlungen für das ZukunftsprojektIndustrie 4.0 – Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0, April 2013.

[4]          VDE Trendreport 2015,

https://www.vde.com/de/Verband/Pressecenter/Pressemeldungen/Fach-und-Wirtschaftspresse/2015/Seiten/23-15.aspx

[5]          A. Fay. Wie bekommt Industrie 4.0 Bedeutung? AUTOMATION 2015.

6]            D. Franke. Sequentielle Systeme. Vieweg, 1994.

[1] SMART FACE – Smart Micro Factory für Elektrofahrzeuge mit schlanker Produktionsplanung. Informationsblatt zur HMI, Hannover 2015.

[2]  Norbert Wiener. Mathematik – mein Leben. Econ Verlag, 1962

[3]  Forschungsunion, acatech. Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 – Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0, April 2013

[4] VDE Trendreport 2015, https://www.vde.com/de/Verband/Pressecenter/Pressemeldungen/Fach-und-Wirtschaftspresse/2015/Seiten/23-15.aspx

[5] A. Fay. Wie bekommt Industrie 4.0 Bedeutung?. AUTOMATION 2015

[6] D. Franke. Sequentielle Systeme. Vieweg, 1994